Untersuchungen belegen, dass mehr wie jedes 10te Kind von Gewalthandlungen durch seine Mitschüler betroffen ist. Die Handlungen reichen von brutalen Schlägen, Demütigungen bis hin zum Cyper-Mobbing. Die psychischen Folgen begleiten die Betroffenen noch Jahrzehnte später.
Als Folge von Schulgewalt (Bullying) konnten verschiedene Erkrankungen (wie u.a. Bluthochdruck, Erschöpfungszustände, Schlafstörungen) und eine deutlich höhere Neigung zu depressiven Zuständen sowie ein schlechteres Selbstwertgefühl nachgewiesen werden.
Bullying erstreckt sich über einen längeren Zeitraum und setzt seine Opfer unter extremen Stress. Sie leiden an psychischen und physischen Folgen, die auch nach Jahrzehnten noch vorhanden sein können.
Zur Bewältigung der Langzeitfolgen der erlebten Schulgewalt wurde folgendes 4-Schritte Programm entwickelt:
1. Auflösen der Opferrolle
2. Grenzen erkennen und setzen
3. Persönliche Stabilisierung
4. Objektive Veränderung von belastenden Situationen
Ganz gleich ob die Ereignisse, gerade erst erlebt wurden, oder bereits Jahre oder gar Jahrzehnte zurück liegen, an erster Stelle steht das „reden“. Sprechen sie über das was ihnen widerfahren ist. Suchen sie sich Menschen, denen sie sich anvertrauen können; beziehen sie ihre Partnerin, ihren Partner, ihre Kinder und Eltern mit ein. Mit dem „reden“ wagen sie den ersten und wichtigsten Schritt aus der Opferrolle (Opferhaltung) heraus. In der Auseinandersetzung mit dem Thema, werden ihnen unter Umständen auch Dinge bewusst, in denen sie durch ihr Verhalten selbst zur Eskalation beigetragen, bzw. die Situation verschlimmert haben. Dieses Erkennen ist gut und gehört zum Ausstieg aus der Opferrolle hinzu. Wir alle verfügen immer und ständig über unzählige Optionen für unser Handeln. Warum und weshalb wir uns für die eine oder andere Möglichkeit entscheiden, hängt maßgeblich von unserem bisherigem Erleben, unseren Werten, Normen und Glaubenssätzen ab. Es ist klar, dass die Lebenserfahrung eines Kindes nicht der eines Erwachsenen entspricht. Verzeihen sie sich also selbst, falls sie aus heutiger Sicht Fehler gemacht haben. Ein klares „Ja, das habe ich so entschieden“ ist ein weiterer Schritt aus der Opferhaltung heraus. Werden sie wieder Herr / Frau ihres eigenen Lebens. Hierzu gehört auch, sich ganz bewusst Hilfe bei Ärzten und Therapeuten zu holen, wenn sie sich mit der Auseinandersetzung mit diesem Thema überfordert fühlen, sie die körperlichen Symptome der Schulgewalt überprüfen lassen wollen.
In der Folge ist es für die Betroffenen wichtig, zu erfahren wo ihre eigenen Grenzen sind. In den Gewaltsituationen werden Grenzen nicht geachtet. Das Kind wird geschlagen, gehänselt, verspottet selbst wenn –oder gerade weil erkennbar ist, das hier eine persönliches Stoppsignal überschritten wird. In der Folge fällt es den Betroffenen schwer, Schranken zu setzen. Das Empfinden nach einer „gesunden“ Grenzziehung hat sich verschoben. Die Betroffenen sind bereit viel zu ertragen, und ertragen viel.
Mit Körper- und Achtsamkeitsübungen kann erreicht werden, dass sich die Betroffenen ihres Selbst wieder mehr gewahr werden. „Aha, das geschieht gerade mit mir“, „Aha, so fühlt sich das an“. Durch ständiges Üben und Wiederholen bekommt die betroffene Person wieder eine Vorstellung davon, wo die eigenen Grenzen liegen. Mit Hilfe von kommunikativen Techniken wird dann geübt, diese Grenzen auch nach außen hin durchzusetzen und zu wahren. Ein klares Nein, fällt einem Gewaltopfer besonders schwer, folgte in der Vergangenheit hierauf in der Regel eine „Strafaktion“, das heißt eine Verschlechterung der Situation.
Mit der Fähigkeit sich zu seiner Lebensgeschichte zu bekennen, sich seiner Grenzen bewusst zu sein und diese nach Außen hin zu vertreten, ist bereits ein wesentlicher Schritt zur persönlichen Stabilisierung erreicht. Das erlernen von Meditationstechniken, oder anderen entspannenden Verfahren, wie zum Beispiel der „Arbeit mit der inneren Form“, welche auf einer neurobiologischen Ebene wirkt, können diesen Prozess weiter verstärken. Ein Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik oder „begleitete Auszeiten“, sind individuelle Variationen dieses Prozesses.
In der Folge ergibt sich dann ganz bewusst, oder „beinahe wie von selbst“ eine objektive Veränderung belastender Situationen. Beziehungen werden geklärt, berufliche Situationen hinterfragt, überprüft und verändert. Dieser Wandlungs- und Klärungsprozess ist keine Kapitulation, oder ein Weglaufen vor den als belastend erlebten Dingen, Personen und Situationen, sondern eine klare, aus Eigenverantwortung heraus entstandene Veränderung hin zu einem erfüllten Leben.
aus: Groß, Hans Jürgen, Bullying (Gewalt in der Schule) Begriff, Ausmass, Folgen; Trainer-Verlag 2012
Foto: c) Jürgen Groß